Macht es Sinn, ganze Unternehmensprozesse an Drittunternehmen outzusourcen? Zum Beispiel, weil entsprechende Kompetenzen fehlen oder um die Strukturen eines Unternehmens schlank zu halten? Für mich ist dies eine klassische „Ja, aber-Frage“, die einen unabhängigen Blick von außen braucht. Fakt ist: Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. Denn Business Process Outsourcing (BPO) ist eine strategische und vielschichtige Unternehmensentscheidung und gehört auf den Prüfstand.
Die Gründe für das Outsourcing von Unternehmensprozessen können vielfältig sein: Manche Unternehmen locken die wirtschaftlich günstigeren Konditionen sowie die Möglichkeit, Risiken auf den beauftragten Dienstleister auszulagern. Manchen Unternehmen fehlt das für bestimmte Geschäftsprozesse erforderliche Spezialwissen im eigenen Unternehmen. Oder sie sind in einer Wachstumsphase, aber noch nicht groß genug, um dieses Wissen inhouse bereitzustellen. Die größte Crux ist jedoch, so meine Erfahrung, eine erstaunliche Unsicherheit, welche Geschäftsprozesse man überhaupt auslagern sollte.
Unternehmen, die über Business Process Outsourcing nachdenken, müssen zunächst ihr Kerngeschäft kennen. Erstaunlicherweise tun sich mehr Unternehmen schwerer damit als angenommen.
Vor einigen Jahren habe ich für ein Unternehmen ein Mandat übernommen. Geplant war ein umfassendes Business Process Outsourcing an einen großen IT-Dienstleister. Das Kerngeschäft und die damit verbundenen Kompetenzen sollten hingegen inhouse bleiben. Während der Analyse wurde deutlich, dass die Kern-Kompetenzen des Unternehmens zu wenig reflektiert wurden. Und auch die Auslagerung klassischer Support-Prozesse ins kostengünstigere Ausland erwies sich komplexer als erwartet. Bis ich mein Mandat niederlegte, war die Anzahl der für BPO infrage kommenden Prozesse daher bereits deutlich gesunken, die Unsicherheit über den einzuschlagenden Weg hingegen gestiegen.
Business Process Outsourcing gehört vor jeder Entscheidung auf den Prüfstand. Voraussetzung ist eine umfassende Analyse der tatsächlich benötigten und der tatsächlich im Unternehmen vorhandenen Schlüsselkompetenzen. Erst mit diesem Wissen ist es möglich, Prozesse neu zu definieren beziehungsweise anzupassen. Vielleicht macht es in dem einen oder anderen Fall ja Sinn, zusätzliche Fachkräfte für das Kerngeschäft einzustellen und das interne Knowhow breiter aufzustellen – auch wenn das in einem zunehmend nachfrage-basierten Arbeitsmarkt kritisch werden kann. Und vielleicht ist es ebenso sinnvoll, bei Standardprozessen auf externes Knowhow zuzugreifen. Dann sollte gewährleistet sein, dass die damit einhergehenden Risiken wie geringere Flexibilität überschaubar bleiben.
Business Process Outsourcing ist heute ein wichtiger Teil der digitalen Transformation. Der Grund: Neben den Geschäftsprozessen geht auch die dafür erforderliche IT-Infrastruktur an Drittunternehmen über. Noch vor einigen Jahren wurden vor allem die Buchhaltung und die Lohnabrechnungen an Drittunternehmen vergeben. Heute sind auch Einkauf, HR, Logistik, Marketing und andere Unternehmensbereiche mögliche Kandidaten für BPO. Doch was verführerisch klingt („schlankere Strukturen“, „mehr Effizienz“, „geringere Risiken“), hat oft auch eine Kehrseite. Umso wichtiger ist es, solche weitgreifenden strategischen Entscheidungen erst nach einer differenzierten Analyse und Reflektion zu treffen.